Hospital zum Heiligen Geist
Von-Broichhausen-Allee 1
47906 Kempen
T 02152 142-0
info-kem@artemed.de

Geschichte - das Gebäude vom Hospital in den ersten Jahren Artemed Swoosh Effekt Artemed blauer Swoosh Effekt Artemed grüner Swoosh Effekt

Vom Gasthaus zum medizinischen Leistungszentrum

Das Hospital zum Heiligen Geist blickt auf eine über 600 jährige Geschichte zurück. Als 243-Betten-Haus sichern wir heute die Grund- und Regelversorgung in der Region mittlerer Niederrhein. Diese Entwicklung ließen die Anfänge des Hauses bei weitem nicht vermuten.

Die Geschichte des Hospitals zum Heiligen Geist reicht zurück bis ins 15. Jahrhundert. Johann Arnold von Broichhausen, Kempener Bürger und Ministerialbeamter des Kölner Erzbischofs, verfügte in seinem Testament im Jahre 1390 eine für die Stadt Kempen wichtige Stiftung. Er wünschte in Kempen die Einrichtung eines „Gasthauses“, ein „Hospital zum Heiligen Geist“. Diese Stiftung wurde im Jahre 1410 von den Söhnen von Broichhausens im Sinne ihres Vaters erweitert und 1421 vom Kölner Erzbischof  Dietrich von Moers bestätigt und genehmigt. Die Stiftung sollte armen Kempener Bürgern zeitlebens und unentgeltlich Wohnung und Pflege geben.

Ein wichtiger Meilenstein zur Errichtung eines Krankenhauses wurde erst im Jahr 1801 gelegt – auf Wunsch des damaligen französischen Präfekts. Tatsächlich baulich erstellt und bezugsfertig wurde das Krankenhaus im Jahr 1842. Seither erfolgten stetige Erweiterungen und Modernisierungen. Eine große Modernisierungswelle gab es zwischen 1978 und 1988: Bettenstationen, Funktionsräume, Geburtshilfe, Chirurgische Notfallversorgung, der Operationsbereich und die Röntgenabteilung wurden in diesem Zuge erneuert. Wesentliche Erweiterungen folgten 1996 mit dem Neubau von drei aseptischen Operationssälen, Einrichtung der Frührehabilitationsabteilung mit 30 Betten und 10 tagesklinischen Plätzen sowie einer Ambulanz. Zwischen 2000 und 2003 wurden eine neue Intensivabteilung und Liegendkrankenanfahrt errichtet.

Seit dem Jahr 2012 gehört das Hospital zum Heiligen Geist der Artemed Klinikgruppe an. In der Folge wurden die Strukturen des medizinischen Leistungszentrums kontinuierlich modernisiert und erweitert. Im Jahr 2013 wurden die B-Stationen saniert und die Wirbelsäulenchirurgie etabliert. 2014 wurde die interdisziplinäre Wahlleistungsstation fertig gestellt und die Fachübergreifende Frührehabilitation mit dem Schwerpunkt der Neurologischen Frührehabilitation ausgerichtet. Die multimodale Schmerztherapie komplettiert seit 2015 unser Muskuloskelettales Zentrum. Im gleichen Jahr wurde auch der Zentral-OP um zwei weitere Operationssäle inkl. modernster technischer Ausstattung erweitert. Im Jahr 2016 hat Frau Dr. Finkenrath als erste Chefärztin im Hospital die Venenchirurgie aufgebaut und diese mittlerweile mit der Dermatochirurgie ergänzt. 2017 und 2018 wurden die Zentrale Notaufnahme, die Funktionsdiagnostik, die radiologische Praxis sowie die Intensivstation baulich und funktionell erneuert. Trotz laufendem Krankenhausbetrieb konnten die für das Hospital so wichtigen Strukturen für eine optimale Patientenversorgung hergerichtet werden. So können seitdem auch Linksherzkatheteruntersuchungen in dem neu eingerichteten Herzkatheterlabor durchgeführt werden. Parallel dazu hat auch das Ärztehaus am Hospital seinen Betrieb aufgenommen. Mit der Inbetriebnahme einer akutneurologischen Fachabteilung und dem Aufbau der Strukturen des neuen Neurozentrums im Jahr 2019 konnte das medizinische Leistungsangebot des Hospitals vorerst abgerundet werden.

Kempen und seine Wahrzeichen

  • Auf Thomas‘ Spuren

    „Ist dat dat Standesamt?“ „Ne, dat jehört de Kirch‘.“ Die beiden älteren Damen flanieren über den Kirchplatz im Herzen der Altstadt und sehen sich die schönen Fassaden an. Vor dem weißen Haus an der Kirchstraße 1 bleiben sie stehen und bewundern den dreifach geschweiften Giebel. Die Szene mit dem kleinen Dialog beschreibt, das das „Vatikänchen“ zwar nicht zu den berühmtesten Kempener Denkmälern gehört, aber sicherlich ein Kleinod ist in der mit herausragenden Bauwerken ausgestatteten Altstadt der Thomasstadt.

    Apropos Thomas a Kempis: Der ist Namenspatron der Stadt und als Thomas Hemerken (um 1380-1471) neben dem Vatikänchen aufgewachsen. Dem stillen Reformer und Mystiker aus Kempen, Autor der „Nachfolge Christi“, ist folgerichtig vor seinem Geburtshaus im Schatten der mächtigen Propsteikirche eine Büste gewidmet. Das Denkmal des Aachener Künstlers Lambert Piedboeuf ist 1901 enthüllt worden.

    „Wat liest Thomas denn da?“, fragt die eine Dame, die aufgrund ihrer schlesischen Herkunft nicht so bewandert in der Kempener Stadtgeschichte ist. „Na“, sagt die gebürtige Kempenerin, wie ihre Freundin Jahrgang 1932, „dat is‘ dat nach der Bibel wichtigste von die Frommen.“ Was im Flyer des Kempener Thomas-Vereins dezidiert nachzulesen ist: Thomas schrieb fast 40 Bücher. Sein Hauptwerk – Die Nachfolge Christi – erschien in 3000 verschiedenen Ausgaben in fast allen Kultursprachen. Es ist eine Anleitung zum geistigen Leben.

    Das Thomas-Denkmal auf dem Kirchplatz. Im Hintergrund das weiße Haus ist das „Vatikänchen“. Das „Vatikänchen“ ist ein Kleinod in der Altstadt. Links davon stand das heute abgerissene Geburtshaus des Thomas a Kempis. „Bo eye“, staunt die andere, „und dä is aus Kempen?“ Und entdeckt, zurück am Vatikänchen, in der Wetterfahne hoch droben, den Schattenriss des lesenden Thomas. „Komm“, hat das kempsche Mädchen nun Feuer gefangen als Stadtführerin, „isch zeich dir andere Stellen von unserem Thomas.“ „Lass mich erst ma lesen“, studiert die Zugezogene nun aufmerksam das Werbering-Schild an dem stilvollen Eckhaus. Und erfährt, dass dieses Haus 1668 gebaut worden ist und Menschen und Einrichtungen diente, die in Verbindung zur Kirche standen: Küster, Organist, Rendant …

    Heute dient das Vatikänchen dem SKM – Katholischer Verein für soziale Dienste KempenViersen – als Geschäftsstelle. Der Spitzname rührt daher, dass der Lektorenkreis der Propsteikirche, der sich hier traf, anno 1976 durch ein ausgehängtes Schild mit der Aufschrift „Vatikänchen“ einen Begriff prägte. Nicht nur das katholische Kempen liebt sein Vatikänchen – zumal das Haus einen stimmungsvollen Übergang von der belebten Einkaufszone zur Ruhe des Kirchplatzes bietet.

    Jetzt packt unsere spätberufene Thomas-Stadtführerin ihre Begleiterin energisch am Arm und führt sie 300 Meter weiter – zur Thomasstraße. Dort steht nicht irgendein Kempener Denkmal, sondern das Wahrzeichen der Stadt: die Burg. Mit keinem anderen Bauwerk identifizieren sich die Kempener mehr als mit der 620 Jahre alten kurkölnischen Feste. „Kumma“, sagt die Kempenerin, „über dem Eingang steht Thomas.“ „Schön hier“, meint die Freundin.

    Der rote Backstein des noch gut erhaltenen Kastells, der alte Baumbestand mit herrlichen Kastanien und Buchen im anmutigen Park, die prächtigen Patrizierhäuser und Villen am nahen Burgring – all das beeindruckt die Dame mit den schlesischen Wurzeln. Und sie spaziert nun mutig auf eigene Faust eine Etage tiefer in den Burggraben, wo sich gerade ein verliebtes Pärchen auf einer ausgebreiteten Decke im Gras küsst. „Hier war früher bestimmt ma Wasser?“ „Kannse von ausjehen. Von hier aus wurde Kempen richtisch verteidigt. Gegen Geldern, Jülich, Hessen, Franzosen und wat weiß isch. Wir jehörten ja mal zu de Kölner Erzbischof.“ Was die Tafel der Burg-Legende bestätigt: Hier residierte als Stellvertreter des Landesherrn ein adeliger Amtmann, der im Frieden für Recht und Ordnung und für die Verteidigung des Kempener Landes im Kriege sorgte. „Wat is denn da drin, in de Burg?“, fragt die andere. „Keene Ahnung. Da streiten se sich jrad drüber.“ „Café wär schön, dann könnte mer jetz Kuchen essen und ma gucken, ob die da unten immer noch knutschen.“

    „Aber wat hät de Thomas denn hier zu suchen?“ „Na, hier war doch dat Gymnasium, dat Thomaeum“, weiß unsere kundige Führerin. „Thomaeum kommt von Thomas – deshalb steht dä da oben und hat aufgepasst, dat die Schüler ihre Vokabeln jelernt haben. Dä Thomas war ja auch en alter Lateiner.“

  • Ja-Wort im Haus Basels

    Vom Vatikänchen am Kirchplatz spazieren unsere beiden betagten Damen 100 Meter weiter zum Buttermarkt. „Schön hier“, sagt die eine, die aufgrund ihrer schlesischen Herkunft keine Ur-Kempenerin ist, aber immerhin seit 72 Jahren in der Thomasstadt lebt. „Als ich mit 15 Jahren hierher kam, konnte man davon nur träumen.“ „Dä Bürgermeister sacht sogar, dat der Platz mäditäran is‘ – wat immer dat auch heißt“, antwortet ihr die Andere, wie ihre Freundin Jahrgang 1932.

    Es ist Freitag, 12 Uhr. Die Turmuhr der Propsteikirche können die alten Damen nicht sehen. Die 800 Jahre alte Marienkirche ist eingerüstet, die Fassade wird saniert. Aber der knurrende Magen versichert unserem Duo: Mittagszeit, Essen kommen! Freitags ist Wochenmarkt. Da duftet es auf dem Buttermarkt nach Obst, Gemüse, Käse, Rosen, Oliven und vielem mehr. „Ich muss noch wat Schwarzbrot haben, dann zeich‘ ich dir dat Standesamt“, sagt die Ur-Kempenerin und beginnt sich zum Stand des fliegenden Eifelbäckers.

    „Ach ja“, erinnert sich die Schlesierin. „Du wolltest mir erklären, warum dat Vatikänchen immer mit dem Standesamt verwechselt wird.“ Nach einer Knabberprobe des Prümtalers flanieren unsere Freundinnen zum anderen Ende des Buttermarktes. Für die 40 Meter brauchen sie 40 Minuten. Nicht, weil der Trolley klemmt. Sondern wegen der Vielfalt des Marktes. Doch davon in der nächsten Patienten-Zeitung.

    „Is‘ ähnlich, aber doch wieder janz anders“, sagt die Zugezogene, als sie vor dem cremeweißen Fachwerkgiebel stehen, postalisch Neustraße 32. Das ist Haus Basels. Hinter der Stuckfassade von 1885 verbirgt sich ein Fachwerkhaus. Seinen Namen trägt es nach einer Familie, die fast vier Jahrhunderte hindurch eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Stadt Kempen gespielt hat. 1743 befand sich dort das Gasthaus „Zum Roßkamm“ des Johhann Conrad Basels. 1768 erwarb sein Vetter Peter Jakob Basels das Haus. Im Gasthaus, zu dem eine eigene Brauerei und Landwirtschaft gehörten, richtete er eine Posthalterei mit bis zu 16 Pferden ein.

    „Die Basels, dat waren wichtige Leute in Kempen“, erzählt das kempsche Mädchen ihrer Freundin. Sie bekleideten öffentliche Ämter in der Stadt und wirkten als Inhaber mittelständischer Betriebe. Die Familie starb mit dem Tod von Maria Basels im Jahr 1969. „Dat war `ne fleißige Frau, die hab‘ ich noch gekannt“, sagt die Kempsche. Die andere: „Ich kenn‘ die auch, sehe sie jeden Morgen.“ „Wie dat?“ „Na, auf dem Straßenschild. Da wohn‘ ich doch, Maria-Basels-Straße.“

    „Der Maria haben wir zu verdanken, dat es uns heute jut jeht und die Stadt so schön ist“, weiß die Kempsche. Das Vermögen der Maria Basels ist in zwei Stiftungen geflossen: eine für bedürftige ältere Kempener – die Maria-Basels-Altenheimstiftung.

    Hierzu gehört auch das Stammhaus der Basels am Buttermarkt. Und eine andere für das städtische Kramer-Museum zur Erhaltung des wertvollen Mobiliars, die Maria-Basels-Stiftung.

    „So tolle Frauen hat Kempen jehabt“, staunt die Schlesierin. „Hat se immer noch, guck uns an“, meint die andere. „Und wat is‘ heute in dem Haus?“ „Dat kannse nich‘ wissen, du hast dich ja nie jetraut.“ Im Haus Basels befindet sich das Standesamt mit dem Trauzimmer im Erdgeschoss. Neben dem Rokokosaal und der Knippen-Stuv im St. Huberter Weberhaus ist es eines von drei Kempener Zimmern, in dem sich Brautleute das Ja-Wort fürs Leben geben. „Da jibbet bestimmt so knarzende Holzbohlen“, vermutet die Zugezogene. „Richtisch. Ich war ja drin, als meine Tochter Irmi dort jeheiratet hat.“ Und oben sitzt das Ordnungsamt, achtet unter anderem darauf, dass der Markt seine gehobene Qualität behält.

    „Aber sach mal“, blickt sich die Zugezogene um, „warum heißt der Buttermarkt Buttermarkt?“ „Da haben se früher die Kühe rausjetrieben auf de Felder. Waren ja alles Bauern hier. Drum heißt dat Kuhstraße und Kuhtor“, erklärt die spätberufene Stadtführerin. „Dann müsste dä doch Kuhfladenplatz heißen?“ „Nä, Buttermarkt klingt schöner. Als ich jung war, hieß dat noch Markt hier.“

    „Annelie, ich kann nie mih“, hat die Schlesierin jetzt einen Mordshunger bekommen, zumal es schon 12.30 Uhr ist. Schmachtend geht der Blick zum benachbarten Fachwerkhaus, wo eine Schiefertafel im Biergarten Leber anbietet. „Komm, einmal im Monat darf man Innereien essen.“ „Ich ess‘ en Salädchen. Is‘ auch nett hier.“ Das Kemp’sche Huus neben dem Haus Basels: Mit seiner hohen Fensterfront und den schmucken Andreaskreuzen darauf ist es ein ausdrucksvolles Beispiel niederrheinischer Fachwerkkunst. Über Kempen hinaus bekannt geworden ist das 300 Jahre alte Haus allerdings vor exakt 40 Jahren, als es komplett umgesetzt worden ist. Als „Haus Pielen“ im 17. Jahrhundert in die Kempener Welt gesetzt, musste das Haus im Zuge der Altstadt-Sanierung 1979 transloziert werden – und heißt seitdem Kempsche Huus. „Ich weiß noch, als dat Huus an de Kuhstraße stand. Da haben wir schöne Pflanzen jeholt“, erinnert sich Annelie die Kundige.

    „Juten Appetit“, hat Martina, genannt Tinchen, nun kein Sinn mehr für Stadtkultur und kaut bereits frohgemut auf der Kalbsleber. „Hier kannse seit fast 40 Jahren jut essen“, erzählt Annelie, die sich zum Salat einen Ziegenkäse aus dem Nachbarort Grefrath bestellt hat. „Hach, wat schön."

  • Süße Träume im Café Peerbooms

    In den vorherigen Ausgaben der Kempener Wahrzeichen haben wir Ihnen die Kempener Denkmäler Vatikänchen, Haus Basels und Kemp’sche Huus vorgestellt. Nun spazieren unsere beiden betagten Damen, die der Reporter der Patienten-Zeitung begleitet, zurück zum Buttermarkt. „Boa, wat für en schönes Huus!“, sagt die eine mit schlesischen Wurzeln. „Ja, dat is‘ Haus Peerbooms“, erläutert die andere, wie ihre Freundin Jahrgang 1922 und gebürtig aus Kempen. Das „kemp’sche Mädsche“ hat längst die Rolle der Fremdenführerin eingenommen.

    Haus Peerbooms: Der rote Backsteinbau mit dem aparten Giebel und den grünen Rolladenkästen gehört zweifelsohne zu den herausragenden Denkmälern der Kempener Altstadt. Offiziell heißt es „Haus Witthoff“. „Aber da steht doch Café Peerbooms“, meckert die Schlesierin. „Wat soll dä Witthoff?“ „Dat kann ich dech net sage“, schüttelt die Kempenerin den Kopf. „Als dat Huus vor 278 Jahren jebaut wurde, spielten die Peerbooms dort noch keene Rolle. Ich jlaube sojar, die Peerbooms kame us Wachtendonk.“ Die andere: „Is auch ejal. Da riecht et abber jut!“ „Jo, da wird schon lange jebacken.“

    Stichwort Backen: Zehn Jahre, nachdem das stattliche Haus am Markt 1741 errichtet wurde, versorgten 30 Kempener Bäcker rund 3000 Einwohner mit Backwerk. Das Haus Witthoff blickt auf eine sehr lange Familientraditon zurück, die zunächst nichts mit dem Backhandwerk zu tun hatte. Tatsächlich heißt es Witthoff, weil darin der Landwirt Johann Witthoff Ende des 19. Jahrhunderts seinen Hof betrieb. Wer allerdings das markante Haus in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebaut hat, ist unklar. Die Initialen HD und MH über dem Eingang zum Buttermarkt sind bis heute nicht entschlüsselt. Fest steht nur, dass es sich um einen wohlhabenden Bürger gehandelt hat, der zudem nach jahrelangem Kriegsleiden in der Stadt voller Optimismus gewesen sein muss.

    Die Konditorei Peerbooms zog erst in den 1970er-Jahren von der Kuhstraße 34 zum Buttermarkt. Der Grund war, dass das dortige Haus wie auch ein angeschlossenes Schuhgeschäft im Zuge der Stadtsanierung der neu errichteten Orsaystraße weichen musste. Das Haus Witthoff am Buttermarkt wurde von 1975 bis 1977 umfassend renoviert. „Dat weiß isch noch“, berichtet die Urkempenerin. Im Erdgeschoss richteten Renate Baumeister, geb. Peerbooms, und ihr Mann Hubert Baumeister die Bäckerei und das neue Café Peerbooms ein. Die Familie zog in die oberen Stockwerke. „Renates Großeltern waren Heinrich Peerbooms und Josefine Recken“, berichtet die Kempenerin ihrer staunenden Freundin. „Wat du alles weißt.“ „Aber hallo! Dat Renate is‘ erst vor knapp zehn Jahren jestorben. Se war sojar Konditormeisterin. Jute Frau!“

    „Komm, lass uns nach dem Kemp’sche Huus im Peerbooms jetzt en Stöcksken Kuchen essen jehen“, hat die Schlesierin nun wieder Appetit bekommen. Gesagt, getan. Die Pariser Apfelschnitte, die heute im Angebot ist, schmeckt den beiden Damen köstlich. Zumal das Wetter mitspielt und sie an der Ecke zur Judenstraße hin einen prächtigen Blick haben. „Aber warum steht da Oomen un‘ nich‘ Peerbooms?“, ist die Schlesierin immer noch wissbegierig. „Dä Bäckermeister Manfred Oomen hat dat Huus vor übber 20 Jahre übernommen.

    He is ooch ut Wachtendonk, wie die Peerbooms“, berichtet die Kempenerin. „Dä kann wat! Hat sojar ‚ne Preis jewonne.“ Auf der Homepage peerbooms.de lesen die beiden auf dem Smartphone, das ihre Kinder ihnen eingerichtet haben: 2014 wird Manfred Oomen auf der Fachmesse Südback mit dem Zacharias, einem der renommiertesten Branchenpreise des Bäckerhandwerks, ausgezeichnet. Er erhält den Stollen-Zarachias als Anerkennung für seinen großen Einsatz für das Image handwerklicher Gebäcke. „Dat schmeckt man“, sagt die Zugezogene, die von ihrer Großmutter in Breslau noch die Schlesischen Kekse genießen durfte und ein gutes Gebäck sehr zu schätzen weiß. „Besonders die Pralinen hier sind lecker.“ Die andere: „Ja, die komme‘ ut de Manufaktur.“ „Manu wat?“ „Ja, die Praline kannse selbst hier im Huus herstelle.“

    Seit 2006 werden im Untergeschoss des Café Peerbooms Pralinenseminare angeboten. Unter Anleitung eines Chocolatiers kann auch der Laie seinen eigenen Konfekt komponieren. Der ehemalige Sportmoderator Manni Breuckmann hat Peerbooms-Inhaber Manfred Oomen in seinem Buch „Fußball-Gipfel“ als „besten Pralinenmacher westlich des Ural“ bezeichnet. „Komm, da melde wer uns an!“, ist die Schlesierin begeistert, dass quasi eine Etage unter ihrem Caféhaustisch die duftenden Schokoträume Wirklichkeit werden. „Jo, abber jetz‘ müsse wer erstmal zum Markt. Et jibt heute frische Radieschen.

  • Kempener Lichtspiele – hereinspaziert!

    In den vorherigen Ausgaben der Patienten-Zeitung haben wir Ihnen die Kempener Denkmäler Café Peerbooms, Vatikänchen, Haus Basels und Kemp’sche Huus vorgestellt. Nun schauen sich unsere Spaziergängerinnen auf dem Buttermarkt weiter um. Und entdecken die Kempener Lichtspiele. Der Reporter der Patienten-Zeitung hat die betagten Damen bei ihrem Eintritt in den Filmtempel begleitet. „Hereinspaziert“, ruft Imad Assaf unseren Seniorinnen von draußen zu. Der 44-Jährige ist dem Theaterbetrieb im denkmalgeschützten Haus Buttermarkt 15 seit drei Jahrzehnten eng verbunden. Seit 1997 in fester Anstellung, arbeitet Imad nunmehr seit 10 Jahren als Theaterleiter in den Kempener Lichtspielen. Theaterleiter Imad Assaf lädt Interessierte in die Kempener Lichtspiele und zeigt das Haus. Fotos: Axel Küppers Unsere beiden Damen lassen sich nicht zweimal bitten und folgen dem sympathischen Kempener ins Foyer des Kinos. Hinter der klassizistischen Fassade findet sich ein Paradies für Cineasten, wie es mittlerweile am Niederrhein einmalig sein dürfte. „Hm, et riecht nach Popcorn“, sagt die Ur-Kempenerin, als ein aromatischer Duft ihre Nase kitzelt. Sogleich stellt Imad ihr einen Becher von dem Puffmais hin, während die Freundin mit den schlesischen Wurzeln ein Tässchen Kaffee mit zwei Stück Zucker bevorzugt. „Von wann is‘ dat Kino eijentlich?“, fragt die Kempsche. „Die erste Vorstellung lief hier am 17. Mai 1913“, berichtet Imad.„Gezeigt wurde unter anderem ein Film Eclair Revue über die Pariser Mode. „Boah, 1913, da war isch noch net jebore.“ „Abber“, erinnert sie sich, „nach dem Krieg war ich oft hier. Feuerzangenbowle mit Heinz Rühmann und ,Wenn die Conny mit dem Peter‘ hab‘ isch jesehen.“

    „Isch war noch nie in dem Kino hier“, gibt die Schlesierin zu. „Kempener Lichtspiele“, lächelt Imad. „Warum dat?“ „Weil hier seit 101 Jahren die Familie Janssen in vierter Generation das Haus führt. Der Großvater vom heutigen Inhaber Frank Janssen (57) hieß Arnold. Er hat das Lichtspielhaus so umbenannt.“ „Wat enne Jeschichte!“, staunt jetzt auch die Ur-Kempenerin. Und von wann ist dat schöne Haus?“ Imad liest ihr aus der Jubiläums-Zeitschrift „100 Jahre Kempener Lichtspiele“ vor, die überall im Foyer ausliegt: Der Buchhändler Hermann Wissink, sein Bruder, der Kolonialwarenhändler Heinrich Wissink, der Bauunternehmer Heinrich Schmitz und der Architekt Wilhelm Rottmann kauften von dem Destillateur und Gemüsehändler Peter Thissen das zehn Jahre zuvor errichtete klassizistische Haus Markt 15. Rottmann entwirft einen Kinosaal von 300 Quadratmetern Größe, den Heinrich Schmitz im Garten des Hauses erbaut. Dort, wo sich heute der Saal 4 der Lichtspiele befindet. „Dabei jibbt et doch kaum noch jemütliche Kinos heute“, bemerkt die Schlesierin, die nun eifrig die historischen Fotos mit Impressionen aus der großen Kinotradition der Familie Janssen betrachtet. „Richtig. Aber die Kempener Lichtspiele haben alle Höhen und Tiefen überlebt und stehen heute sehr gut da“, erläutert Imad. Das heißt konkret: Mittlerweile verfügen die Lichtspiele über 4 attraktive Kinosäle mit insgesamt 613 Plätzen. Jahr für Jahr betreten rund 120.000 Kinofreunde die Schwelle des Hauses Buttermarkt 15, um die Topqualität in Bild und Ton zu genießen. Alle großen Filme, alle Genres, alle Geschmäcker werden bedient: Action, Liebesfilm, Drama, Komödie, Klamauk, Tierfilm, von Programmkino über Mainstream bis Blockbuster. Kleine, große, alte und junge Leinwandfreunde kommen auf ihre Kosten.

    Legendär sind beispielweise die James-Bond-Vorpremieren zur mitternächtlichen Stunde inklusive BMW-Flotte auf dem Buttermarkt. Oder der Besuch von Hauptdarstellern mit Autogrammstunde. Oder begleitende Mitmachaktionen wie Schminken bzw. Verkleiden passend zum Streifen, zum Beispiel das „Dschungelbuch“. Oder … „Jibt et dat Kuchenkino denn noch?“, fragt die Ur-Kempenerin. „Klar, regelmäßig ausverkauft“, glänzen Imads Augen. Diese Aktion hat sich vor 15 Jahren Frank Janssen mit einem Kempener Zeitungsredakteur und dem Café Peerbooms überlegt: Jeden ersten Donnerstag im Monat wird nachmittags ein erlesener Film gezeigt, der ein Liebhaberpublikum anzieht. Dazu gibt es Kaffee und Kuchen umsonst. „Da war isch. Et jab Mrs. Robinson mit dä Dustin Hoffman. Lecker Jong!“ „Ja, die Reifeprüfung“, ergänzt Imad den Filmtitel des legendären Films von 1967. „Lebt die Mrs. Robinson eijentlich noch? Die war doch viel älter als dä Jong“, will unsere Schlesierin wissen, die den Film mehrfach im Fernsehen gesehen hat. „Nein, Anne Bancroft ist leider 2005 gestorben“, zeigt sich Imad auch hier als profunder Kenner von Kinogeschichte und Leinwandhelden. „Komm, jetzt will isch mir dat Haus von draußen noch ma‘ mit Verschtand ansehen!“, ist die Zugezogene beeindruckt von so viele Kempener Filmgeschichte und Tradition, die sich in einem einzigen Haus zugetragen hat: die spektakulärsten Stunts, die schönsten Kussszenen, die ergreifendsten Filmmomente, die sich in die kollektive Erinnerung einbrennen – vom 007-Wodka Martini „… geschüttelt, nicht gerührt“ bis „Ich seh‘ dir in die Augen, Kleines“. Das Haus Buttermarkt 15 hat alles schon gesehen. Die Ur-Kempenerin wirft Imad noch ein „Merci“ hinterher und fragt beim Rausgehen: „Wat jibbet beim nächsten Kuchenkino?“ Imad: „Was wünschen Sie sich?“ Die Kempsche: „Mrs. Robinson.“ Imad nickt. Die Schlesierin: „Da simmer dabei!“

  • Denk mal an Thomas

    Nach Burg, Vatikänchen, Standesamt Haus Basels, Kempsche Huus, Café Peerbooms und Kempener Lichtspiele wenden wir uns in der heutigen Ausgabe der Wahrzeichen-Serie dem größten Sohn der Stadt zu: Thomas a Kempis. Der Mystiker, vor 640 Jahren im Schatten der Propsteikirche geboren, hat das nach der Bibel meistaufgelegte Buch in der christli-chen Literatur geschrieben: Die „Nachfolge Christi“ oder latinisiert „Imitatio Christi“. Darin hat Thomas die christlichen Werte wie Nächstenliebe, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft, Barmherzigkeit sowie aufklärerische Impulse wie Gleichberechtigung aufgegriffen und in zeitlose Weisheiten und Einsichten gebracht. Das Erbe des Kirchenlehrers, Denkers und Augustiner Chorherrn ist in der Stadt weitverbreitet. Es gibt zwei Denkmäler, die an Thomas Hemerken – so sein bürgerlicher Name – erinnern.

    Heute begleiten wir deshalb nicht die bei den älteren Damen auf ihrem Denkmal Streifzug durch die Altstadt, sondern eine Frau, die sich mit dem Gedankengut des Thomas intensiv beschäftigt hat und das jüngere der beiden Denkmäler geschaffen hat: Edith E. Stefel-manns. Bevor die Künstlerin zusammen mit dem Lions Club Kempen als Stifter und der Stadt Kempen im Zuge eines Festaktes am 3. November 2018 im Grüngürtel am Donkring ihre Installation aus vier Stelen den Kempener Bürgern übergeben hat, ist sie intensiv ein-getaucht in die Gedankenwelt des Mittelalter Mönchs Thomas. Meist betrieb Edith Stefelmanns ihre Thomas-Forschung auf dem Basalt-Sockel des älte-ren Thomas-Denkmals auf dem Kirchplatz „An St. Marien“, wo auch das Geburtshaus von Thomas gestanden hat. Diese Bronze-Büste hat der Aachener Bildhauer Lambert Pied-boeuf geschaffen, sie ist am 8. Juni 1901 eingeweiht worden. Vor Augen eine Ausgabe der „Nachfolge Christi“, die auch der Piedboeuf-Thomas über ihr in der Hand hält. „Bei Thomas bin ich immer wieder auf die Zahl 4 gestoßen. Deshalb sind es in meinem Werk am Ende auch vier Säulen geworden – jede könnte für ein Buch der „Nachfolge Christi`stehen“, sagt Edith Stefelmanns.

    Die klare, fast schon geometrische Formensprache ihrer Installation aus drei Cortenstahl und einer Granitsäule hebt sich deutlich und bewusst ab von der figürlichen Darstellung des Thomas auf dem Kirchplatz. Dieser Darstellung von 1901 liegt das Thomas-Zitat „… in een hoeksken met een boeksken“ – Mit einem Büchlein in einer stillen Ecke – zugrunde: Thomas ist als Mönch dargestellt, er thront förmlich über dem Kirchplatz und zeigt sein Hauptwerk in der linken Hand. Dieser Wucht der christlichen Botschaft, typisch für die Zeit des ausgehenden Kaiserreichs, hat Edith Stefelmanns 350 Meter weiter östlich am Rand von Kempens Kern ein Kunstwerk gegenüber gestellt, das in seiner formalen Reduktion mehr Raum für Gedankenfreiheit und Phantasie lässt. Ob im Innenraum der vier Säulen, der imaginären „Gedankenkammer“, oder auf der zehn Meter entfernt stehenden Bank an der Promenade: „Die Kempener bli-cken offenbar gerne auf dieses Kunstwerk und gehen davon inspiriert ihren Gedanken nach“, hat Edith Stefelmanns beobachtet, deren Altstadt-Atelier sich exakt in der Mitte zwischen diesen beiden Thomas-Polen befindet.

    Damit treten die beiden Thomas-Denkmäler nicht in Konkurrenz zueinander, sondern drücken in der künstlerischen Sprache der jeweiligen Zeit die Botschaft aus, die Thomas am Herzen lag: Seid gut zueinander. Edith Stefelmanns, die gebürtige Hamburgerin ist und seit 36 Jahren in Kempen lebt und arbeitet, erfährt bei ihren Kunstrundgängen in der Altstadt viel Zuspruch für das harmoni-sche Zusammenspiel der beiden Thomas-Denkmäler. Auf der vierten Granitsäule hat der Kempener Bildhauer Manfred Messing vier Sinnsprüche von Thomas eingemeißelt wie „Wer mit sich selbst im Frieden lebt, denkt von niemandem Arges“. Zusammen mit Thomas-Stiftung Kiefer und Thomas-Verein und wissenschaftlich begleitet sind die Zitate aus der „Nachfolge Christi“ gesichtet und am Ende von Edith Stefelmanns und Propst Dr. Thomas Eicker ausgewählt worden. „Es ist uns darum gegangen, Thomas wieder einem jüngeren Publikum zugänglich zu machen, sein Erbe zu erhalten und seine Aussagen in einen modernen Kontext zu stellen“, sagt der damalige Lions-Club Präsident Dr. Martin Kamp, der Ideengeber der Initiative. Dr. Kamp ist auch HNO-Belegarzt im Kempener Hospital zum Heiligen Geist. Daran hat Edith Stefelmanns angeknüpft. Ihre Installation hat Thomas vom Sockel geholt und trägt einen boden-ständigen Zug. „Ich glaube, hätte Thomas heute gelebt, würde er diesen klaren, erdverwurzelten Charakter unterschreiben“, sagt Edith Stefelmanns. Einfach und gradlinig sei schließlich auch die Sprache des Frommen vom Kempener Kirchplatz, der die längste Zeit seines Lebens im Kloster im niederländischen Zwolle gelebt hat.

    Damit unterstreicht Edith Stefelmanns, dass Thomas bereits im Mittelalter ein fortschrittlicher Denker war und mit seinem humanistischen Anspruch auch in die moderne Zeit gepasst hätte. Ansätze wie Gleichbehandlung der Armen, Freiheit im Denken und barmherzige Hilfe der Kranken und Schwachen ohne Gegenleistung waren seinerzeit alles andere als selbstverständlich. Die abgeschrägten Spitzen der vier Meter hohen Stefelmanns-Säulen könnten sowohl den Stift abbilden, mit dem Thomas unzählige Schriften verfasst hat – die spitze Feder. Oder halt eine Spitze sein gegen … wen auch immer … , der damit nichts anfangen will oder ignorant seinen Hund an die Säulen pinkeln lässt. Thomas in Ordensgewand und mit Gelehrtenumhang auf seinem Sockel am Kempener Kirchplatz, die „Nachfolge Christi“ fest in der linken Hand, die rechte frei für die Schreibfeder. Ihm zu Füßen sitzen Dr. Martin Kamp, Edith E. Stefelmanns, Axel Küppers. Sakrale Kunst hat Edith Stefelmanns bereits lange vor ihrer Thomas-Stele im Hospital zum Heiligen Geist platziert. Das Kruzifix haben viele Kempener vor Augen. Aber auch ihre grüne Glas-Installation im Foyer ist ein beliebter Treffpunkt und bietet Anregung und Austausch. Der Freundes- und Förderkreis Hospital zum Heiligen Geist hat seinerzeit über die Kunstförderung einen neuen Zugang in das Wirken des Kempener Hospitals ermöglicht. Auch im Hospital unterstützt Edith Stefelmanns mithin das christliche Gedankengut – in diesem Fall das der Heilig-Geist-Brüder, denen es wie Thomas a Kempis um tätige Hilfe für Arme, Schwache und Kranke ging. Sie trägt damit das Gedankengut der Brüder vom Orden des Heiligen Geistes in die Moderne. Übrigens: Neben den beiden Denkmälern taucht der Name Thomas in vielfältiger Beziehung auf in Kempen. Es gibt die Thomasstraße, die Thomas-Buchhandlung, den Thomas Bitter, das Haus Thomas im Von-Broichhausen-Stift, das Thomas-Archiv, den Thomas-Verein, den Lions Club „Thomas a Kempis“, die Thomas-Statue über dem Hauptportal der Burg und das Gymnasium Thomaeum.

  • Die einzigartige Judenstraße

    Auf Jück mit den betagten Tanten – so stellen wir Ihnen die Kempener Altstadt mit ihren wunderbaren Denkmälern und Wahrzeichen vor. Tinchen und Lieschen, in deren Schlepptau wir durch die Gassen schlendern, sind jetzt zwar schon knapp 90. Aber Lieschen, dat kempsche Mädche, hat halt Gefallen daran gefunden, ihrer Freundin Tinchen die Geheimnisse der Altstadt näher zu bringen. Und Tinchen freut sich immer wie Bolle, wenn Lieschen sie frei-tags nachmittags am Kuhtor abholt. Denn Tinchen lebt zwar seit 72 Jahren in Kempen, ist aber gebürtig aus Schlesien und mit den Geschichten und Anekdoten von Kempens Kern noch nicht so bewandert. „Komm, wir jehen erst mal Kaffee trinken, ich kenn da wat himmlisch Feines“, sagt Lieschen zu ihrer Freundin. Mit dem Rollator sind die beiden Damen binnen fünf Minuten an der Ecke Buttermarkt/Judenstraße. „Was, hier gibt es eine Judenstraße?“, fragt Tinchen ganz verwundert beim Blick auf das Straßenschild. „Ja, in janz Deutschland nur hier“, strahlt Lieschen, dass sie mit ihrem Wissen wieder prominent hausieren gehen kann. „Wie dat?!“ „Viele Juden haben früher hier jelebt, bevor … na du weißt schon … bevor `se dann mit dem Zug ins KZ jebracht wurden. Hier habe mer immer mit denen jespielt als Kinder.“ „Ja, bei uns in Schlesien hat es auch immer wieder Pogrome gegeben“, grübelt Tinchen. „Aber was für `ne schöne Straße!“ Tatsächlich ist die Judenstraße im Herzen der City eine der schönsten Meilen der Altstadt. Deutlich kürzer als ein Kilometer, reiht sich hier Geschäft an Geschäft, Café an Restaurant, Bäckerei an Modeladen, Rathaus-Seitenflügel und Domizil des Propstes.

    „Komm‘, wir jehen in dat Café und essen `ne Donut, da erzähl‘ ich dich mehr von de Juden“, sagt Lieschen und steuert das Haus Judenstraße 5 an. Dies ist eines der architektonischen Juwele dieser Straße. „Haus Hall“ heißt das im Rokokostil erbaute Haus, das der Kempener Baumeister Friedrich Vogts 1764 für seinen Freund Peter Matthias Hall gebaut hat. Hall hatte 20 Jahre zuvor eine Wachsbleicherei in Kempen errichtet. Vom heiteren Stil des Rokoko zeugen die beschwingten Linien der Türumrahmung und die zierlich geschmückte Haustür. Zuvor zeigt Lieschen ihrer Freundin die Gedenk-Stele am Rathaus, die der damalige Kempener Bürgermeister Karl Hensel im Jahr 2004 seiner Bestimmung übergeben hat. Entworfen hat die Säule aus schwedischem Granit der Kempener Bildhauer Manfred Messing. Die alten Damen studieren aufmerksam den eingemeißelten Erläuterungstext über dem David-stern. Dort steht hinter dem Einstieg „Sie waren unsere Nachbarn…“ Grau in Grau, wie die Nationalsozialisten diese Menschen in die KZ’s nach Riga, Theresienstadt und Auschwitz deportierten. Darunter die Namen von 82 Opfern rassistischer Verfolgung. Laut Initiative Projekt Stolpersteine lebten in Kempen vor der Machtergreifung durch die Nazis ca. 65 jüdische Mitbürger. 35 von ihnen sollten den Holocaust nicht überleben.

    Noch in den 1920er Jahren lebten die Juden in Kempen relativ unbehelligt von antisemitischen Ressentiments und Angriffen friedlich neben den anderen Einwohnern der Stadt. Kempen galt schließlich als liberaler Ort, in dem die Zentrumspartei regelmäßig hohe Stimmengewinne verbuchte. Meist betrieben die Kempener Juden Viehhandel oder führten Läden. Der Kempener Historiker Dr. Hans Kaiser berichtet in seinem Werk „Kempen unterm Hakenkreuz“, wie die jüdische Metzgerfamilie Hirsch den ärmeren, kinderreichen oder auch den arbeitslosen Menschen – egal ob Christen oder Juden – immer ein bisschen mehr Wurst für das Geld gab, das sie zahlen konnten. „Ich war noch ganz klein, als die Nazis zum Boykott gegen unsere jüdischen Kaufleute, Ärzte und Rechtsanwälte aufriefen und die Schaufenster mit Hetzparolen beklebten – das war schrecklich“, sagt Lieschen und nippt betrübt an ihrem Cappuccino. Es ist Anfang November, und dank des schönen Wetters können die alten Damen noch am Heizstrahler draußen sitzen. „Vor 83 Jahren um diese Zeit, da gingen wir hier als Kinder mit der St. Martins-Laterne durch die Straßen. Und 100 Meter weiter, an dä Umstraße, hatte die SA die Synagoge angezündet.“ „Und das habt ihr gesehen?“, will Tinchen es gar nicht glauben. „Ja, kannse nachlesen beim Kaiser.“ Das Haus des Metzgers Hirsch wird in der Pogromnacht ebenso verwüstet wie viele andere Gebäude der jüdischen Mitbürger. „Aber die Kempener mögen die Juden, dat war immer en jutes Miteinander. Dat siehste auch an die janze Erinnerungskultur“, sagt Lieschen, während die Freundinnen nun Richtung Mahnmal an der ehemaligen Syngagoge die Judenstraße in östliche Richtung spazieren. Es wurde 37 Jahre nach dem Ende des sogenannten „Dritten Reiches“ an der Umstraße aufgestellt, wo die Synagoge stand. „Hm, hier riecht es gut“, sagt Tinchen kurz vor dem Propsteipfarramt. Aus dem Haus Nummer 8 dringen kulinarische Düfte von Zwiebel, Röstkartoffel, Gemüse und Gebratenem. Das „Haus Ercklentz“, eine der ersten Gastro-Adressen der City, hat gerade den Herd angeworfen und freut sich auf Feinschmecker. „Schade, dass wir jetzt den Bauch voll haben mit dem Donut“, bedauert Tinchen. Ihr Appetit ist wahrlich gesegnet. Das Haus Ercklentz ist ein weiteres Denkmal von Rang. Das dreigeschossige Wohnhaus ist aus dem 18. Jahrhundert. Ursprünglich war es das Wohnhaus des Bauherrn, Tuchkauf-mann Gerhard Arnold Mühlen. Der ist für die Stadt Kempen durch die 1778 gegründete gemeinützige Mühlen'sche Stiftung von historischer Bedeutung. Aus dieser Zeit dürfte auch die heutige Putzfassade stammen, ebenso wie die geschnitzte eichene Haustür. Wie die Gestaltung im Inneren nimmt sie Dekorelemente des Empire auf. Nachbesitzer war Peter Anton Thissen, von 1808 bis 1811 Bürgermeister unter der französischen Verwaltung.

    Von seinen grundlegenden Umbauten zeugt heute noch der prachtvolle Empire-Stil des Erdgeschosses. „Komm, ich zeisch dich ma en paar Stolpersteine“, sagt Lieschen am „Ercklentz“ und biegt mit ihrem Rollator in die Alte Schulstraße ein. Dort liegen an den Häusern Nr. 9 und 10 Gedenksteine. Sie erinnern an die ermordeten Juden, die in diesen Häusern lebten. „Siehse, dat mein ich mit guter Gedenkkultur, die wir hier haben“, sagt Lieschen. „Das kannst du wohl sagen!“, antwortet Tinchen. Das Projekt „Stolpersteine“ wurde 1994 vom Künstler Gunter Demnig zunächst in Köln initiiert. Die quadratischen Messingtafeln sind mit von Hand eingeschlagenen Lettern beschriftet und werden von einem angegossenen Betonwürfel getragen. Inzwischen hat Demnig mehr als 50.000 Steine in 1200 deutschen Städten verlegt – seit 2015 auch in Kempen. Die Initiative Projekt Stolpersteine organisiert in Kooperation mit den Schulen die Verlegung der Steine. Mittlerweile sind in Kempen 69 Stolpersteine verlegt, die meisten in der Altstadt. In diesem Wechselbad der Gefühle zwischen anmutiger Altstadt-Kulisse und nachdenklich machender Zeitgeschichte werden unsere betagten Damen langsam müde. Bis zum Mahnmal an der Umstraße schaffen sie es heute wohl nicht mehr. Dafür ist der Freitag kommender Woche nun reserviert

  • Die Traberklause – da, wo alles begann

    „Kuck ens, wat für en schönet Haus!“ Lieschen steht mit Tinchen vor dem Haus an der Peterstraße 41. Darin befindet sich heute die altdeutsche Gaststätte Traberklause. Natürlich haben unsere beiden älteren Damen in der urig-modernen Atmosphäre dieses traditionellen Restaurants im Herzen der Kempener Altstadt schon den einen oder anderen Schoppen Wein zu sich genommen oder ein frisch gezapftes Pilsken goutiert. Jetzt ist Lieschen, die Urkempenerin, aber als Fremdenführerin in ihrem Element und wild entschlossen, ihrer Freundin Tinchen einen Blick hinter die Kulissen des prächtigen Denkmals zu gewähren. Denn Tinchen, gebürtige Schlesierin, lebt zwar seit 72 Jahren in Kempen. Sie kennt die Historie dieser Stadt aber natürlich nicht so profund wie ihre beste Freundin. Und so spazieren die Frauen immer freitags mit offenen Augen durch ihr Städtchen. „Dat is‘ dat älteste mit `nem Steingiebel versehene Wohnhaus der Stadt“, referiert Lieschen und zeigt mit der rechten Hand auf die Ziegelfassade mit dem markanten sechsstufigen Treppengiebel. Das Haus Hüskes-Weinforth, wie es in der Denkmalliste der Stadt Kempen eingetragen ist, ist den Chroniken zufolge in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erbaut. Alle Wände bis auf die Fassade zum Buttermarkt hin sind aus Fachwerk, wie es zu jener Zeit Brauch war. „Jetzt kuck ma jenau hin!“, zeigt Lieschen nun auf das aufgemauerte Kreuz hoch oben am Giebel. „Dat erinnert dran, dat hier dä Rektor des Hospitals zum Heiligen Jeist wohnte“, berichtet Lieschen, die in Vorbereitung ihres heutigen Spaziergangs noch mal in den Schriften des Kempener Historikers Dr. Hans Kaiser nachgeblättert hat. Wie kein anderer Schriftgelehrter hat der ehemalige Realschullehrer die Geschichte dieser Stadt gründlich und gleichsam lesenswert aufgeschrieben. „Dat kenn ich, dat Hospital, da hamse mir voriges Jahr `ne neue Hüfte operiert“, strahlt Tinchen, die seitdem wieder prima zu Fuß unterwegs ist und auf den Rollator verzichten kann.

    „Jenau, und hier fing alles an“, schaut Lieschen ihre Freundin glücklich an, weil die wie an jedem Freitag das Wissen wie einen trockenen Schwamm aufsaugt. „Dat war früher hier ein riesiger Gebäudekomplex, hervorgegangen aus einer 1390 begründeten Stiftung.“ Davon sind, erzählt Lieschen, nur noch dieses Haus und die rechterhand anschließende Heilig-Geist-Kapelle übriggeblieben. Als Lieschen spürt, dass ihre Freundin an der Geschichte dieses Hauses Traberklause brennend interessiert ist, gerät sie nun in einen Redeschwall. Ein paar Fußgänger haben sich dazu gesellt – sie denken, das hier sei eine offizielle Stadtführung und sind beeindruckt. So kommt unser Lieschen von et Höcksken auf et Stöksken. Und kommt auf einen Edelmann zu sprechen, der sie stets an ihren verstorbenen Ehemann Karl erinnert hat: Johann von Broichhausen. Der betuchte Kempener Bürger war dem Vernehmen nach den weltlichen Genüssen nicht abgeneigt. Ein schönes Quantum Bier inspirierte den Gutmensch von Campunni und ließ im Oberstübchen kühne Ideen zum Wohle seiner Heimatstadt entstehen. Was lag da näher, als die zahlreich vorhandenen Taler im schweren Lederbeutel mitten in der Stadt in ein exklusives Lokal zu investieren. „So entstand das Weinhaus am Markt“, erzählt Lieschen, die ihre Stimme jetzt anheben muss, damit auch die Zuhörer vom nahen Wochenmarkt etwas mitbekommen von ihrem Vortrag. Sie bedient sich jetzt – derart im Rampenlicht - des Hochdeutschen, das sie schließlich auf der Martin-Schule bestens gelernt hat – Bildung tut schließlich Not. „Wein war selten zu jener Zeit, ein edles Getränk, das den Reichen und Vornehmen vorbehalten war“, zitiert Lieschen Dr. Kaiser (den Aufsatz hat sie sicherheitshalber in ihrer Handtasche mitgenommen). „Broichhausens Weinhaus am Markt lag da, wo heute die Gaststätte Weinforth bzw. Traberklause steht.“ Aus einer Schnapsidee entsteht zuweilen Großartiges, so auch hier: Diese Bilder entstanden vor einigen Jahrzehnten: Die Heilig-Geist-Kapelle im Vordergrund mit dem benachbarten Haus Hüskes-Weinforth – dort befindet sich die Wiege des Kempener Hospitals zum Heiligen Geist. Im Jahre 1390 erklärte Johann von Broichhausen in der Kempener Propsteikirche, er wolle aus seinem Weinhaus eine Stiftung machen. Und noch mehr: Der gute Johann verspricht am 1. Juni 1390: Aus seinem Weinhaus soll ein Gasthaus werden.

    „Dem Begriff Gasthaus lag im Mittelalter freilich eine andere Bedeutung zugrunde als heute“, wächst Lieschen über sich hinaus, während Tinchen mit offenem Mund zu der elf Zentimeter größeren Freundin aufschaut. „Es gab ja noch keine Krankenhäuser im heutigen Sinne mit einer umfassenden Gesundheitsversorgung.“ Das Sozialwesen steckte in den Anfängen, Menschen vom Schlage eines Johann von Broichhausen haben es kultiviert. „Es war ein Gast-Haus für die Armen, die Bedürftigen, die Notleidenden und Kranken“, sagt Lieschen, die in der Menschentraube wieder ob ihres Vortrags mit ihrem Taufnamen Elisabeth angesprochen wird. „Lieschen, lass uns jehen, dat hier is mir peinlich“, raunzt Tinchen ihrer Freundin zu. Doch die ist nicht zu bremsen. „Eine Kneipe war mit Gasthaus nicht gemeint“, ruft Lieschen in die Runde. „Gasthaus – so nannte man damals eine Wohnstätte für arme und kranke Menschen.“Im Jahr 1421 – 31 Jahre nach Gründung der von-Broichhausen-Stiftung - wurde das Kempener Gasthaus schließlich eröffnet. Seine Bewohner lebten in ihm als Gäste der Stiftung.Jeder hatte dort ein eigenes Zimmer. Die Kranken wurden auf Kosten der Stiftung gepflegt. In einem Gemeinschaftsraum nahmen sie täglich ihre Mahlzeiten ein. Vom Gasthaus zum lateinischen „hospitalis“ gleich „gastfreundlich“ war es nur ein Wimpernschlag. „Johann von Broichhausen widmete seine Stiftung dem Heiligen Geist. Das Symbol des heiligen Geistes ist die Taube. Der Heilige Geist galt im Mittelalter als Verkörperung der göttlichen Barmherzigkeit, als Beschützer der Armen“, referiert Lieschen, die nun ihren Vortragsstil gefunden hat, während man auf dem Pflaster ringsum trotz der Menschenmenge die Stecknadel fallen hört. „Sie haben sich`s schon gedacht, liebe Zuhörer… aus der Stiftung, die Johann von Broichhausen im Jahre 1390 dem heiligen Geist zu Ehren gründete, ist später das Kempener Krankenhaus hervorgegangen: das Hospital zum Heiligen Geist.“ Applaus!

    „Und die benachbarte Kapelle, was hat es damit auf sich?“, fragt eine Bauerstochter aus Schmalbroich, deren Opa früher in der Altstadt ein Gehöft betrieb. Auch hier ist die selbsternannte Stadtführerin Elisabeth nicht um eine Antwort verlegen: „Die Bewohner des Armenhauses mussten für die Seelen der verstorbenen Broichhausens beten. Deshalb bekam das Gasthaus eine eigene Kapelle – die Heilig-Geist-Kapelle.“ Bravo-Rufe! Von Johann von Broichhausen gibt es kein Bild, dafür ist in Kempen nach ihm eine Straße benannt. Das Hospital zum Heiligen Geist trägt die Adresse Von-Broichhausen-Allee 1. Woraufhin Elisabeth die kluge Kühne noch einen draufsetzt: „Wissen Sie, die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist ist eine der ältesten Hospitalstiftungen in Deutschland. Hospitäler zum Heiligen Geist gibt es auch in anderen Städten wie Hamburg, Frankfurt und München. Aber keines ist so alt wie das in Kempen.“ Zugabe! Nur gut, dass das Haus Hüskes-Weinforth bis zum heutigen Tag so gastfreundlich ist wie in den Anfängen: Lieschen, die nun völlig ermattet ob ihres lehrreichen Vortrags ist, wird von den Zuhörern in die Traberklause eingeladen. Im bis auf den letzten Platz gefüllten Gasthaus klingt die Stadtführung auf den Spuren des Johann von Broichhausen nun feucht-fröhlich und lecker aus

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